Didaktisches

Ich mag es nicht besonders wenn mein Sohn in die Glotze kuckt. Er ist jetzt 18 Monate alt und sieht sich besonders gern die Sendung mit der Maus oder Sesamstraße an.

Seit einiger Zeit frage ich mich aber auch: woher kommt dieses Unwohlsein wenn ich ihn beim Fernsehen betrachte? Oder wovor haben „wir Eltern“ da so Angst? Es gibt schon kaum jemand mehr öffentlich zu das es ab und an sehr angenehm sein kann die Kleinen vor dem Fernseher zu parken oder überhaupt noch ein Gerät zu besitzen. Auf den Familienseiten im Netz überschlagen sich hysterische Hinweise auf Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten. Unter meinen KollegInnen (ich bin Sozialpädagogin) ist es dann auch eher -oder soll ich sagen immer noch- Waldorf oder Montessori und nicht die Maus, die Kinder „artgerecht“ unterhalten sollen.

Derzeit laufen die Beiträge des Deutschlandfunks zur Didacta in Hannover und bei den großen Fragen rund um Bildung, Erziehung und Politik frage ich mich immer mehr wo Bildung eigentlich beginnt und wowiewann jede/r einzelne sich bildet und/oder andere bildet. Denn das Bildung irgendwie schon wichtig ist, bejaht eigentlich jede/r, aber welche Art von Vermittlung dieser stattfinden soll, darüber herrscht so große Ratlosigkeit. Das macht mich traurig, denn ich empfinde gerade den Bildungsbereich als aufregend vielseitig und chancenreich.

Zurück zu meinem Sohn: Elmo begrüßt ihn am Morgen, er liegt breitbeinig auf dem Sofa, Kakaofläschchen in der Hand und er starrt gebannt auf den Bildschirm. Und durch meinen Kopf weht der Gedanke: oh, weh, wenn ich nicht bald wieder ausschalte, wird er ein hirnloser, unreflektierter Konsumentenzombie. Und der Kakao schon bald ein Bier….ZAPP, Fernseher aus, wir kucken jetzt SOFORT ein Buch an. Quasi als Gegengift.

Dabei muss ich zugeben, dass ich selbst auch sehr gern fernsehe. Und bei weitem nicht nur Beiträge auf arte, sondern auch mit diebischem Vergnügen Sendungen wie Der Bachelor oder Bauer sucht Frau. Ich hatte zwar zwölf Jahre keinen Fernseher, war jedoch regelmäßige Konsumentin von Streamingdiensten und im Winter desöfteren seriensüchtig. Dann lag ich Stunden, Nächte, Tage mit meinem Laptop im Bett und habe mich mehr oder weniger hirnlosem Nonsens hingegeben. Meine Körperspannung ist beim Kucken ebenfalls zu vernachlässigen und ich trinke auch gern mal ein Glas Wein zu RTL (ich wünsche mir auch seit meiner Kindheit diesen Schmollfernsehkuschelsack der Peanuts, der nur die Nase freilässt und dem die Kids des Cartoons so wunderbar vor der Glotze chillen).

Trotz dieser recht intensiven Fernseherziehung habe ich mein Studium geschafft, eine tolle Familie und sogar auch Freunde (bin also sozial kompetent oder so ähnlich), habe auch andere Hobbies und bin nicht übergewichtig. Ich würde mich als gebildet bezeichnen.

Woher dann die Angst um meinen Sohn, das das Fernsehen ihn verblöden könnte? Bei näherer Betrachtung laufen bei uns zu Hause genau dann sogar mehrere Ebenen von Bildung ab. Nehmen wir die Sendung mit der Maus: innerhalb einer halben Stunde wechseln sich hier mehrere kleine Geschichten ab, die auch unterschiedliche Formate (Cartoon, Dokumentation, Trickfilm etc.) aufzeigen. Die Inhalte sind nicht gewalttätig oder für Kinder überfordernd.

Mein Sohn liebt vor allem den kleinen blauen Elefanten und wiederholt immer Worte von Gegenständen, die er schon kennt. Meistens sitzen mein Mann oder ich neben ihm und kommentieren was da auf dem Bildschirm gerade so passiert während wir mit ihm kuscheln. Die Ausstrahlung der Sendung wird für meinen Sohn auch ein physischer erfahrbarer Wohlfühlmoment und für uns als Eltern eine Gelegenheit mit ihm zu kommunizieren. Uns ist es wichtig, das er mit den Bildern aus dem Fernseher nicht alleine gelassen wird, wobei ich auch schon mal aufräume oder Wäsche aufhänge während er kuckt. Da hat er dann aber meistens ziemlich schnell keine Lust mehr auf Fernsehen, sondern leert hinter meinem Rücken die Schubladen wieder aus, die ich gerade einsortiert habe.

Sei es der Fernseher, das Smartphone oder das Tablet….in unserer Gesellschaft sind schnell „die Medien“ an (Un-)Bildung Schuld. Dieses grundlegende, inzwischen schon ziemlich alte Misstrauen ist mir auch bei einigen Beiträgen über Projekte auf der Didacta wieder aufgefallen. Dabei geschieht erfüllende Bildung erwiesenermaßen nie ohne starke Beziehungen und Bindungen, egal in welchem Lebensabschnitt oder von zig Bildschirmen umgeben. Mit „erfüllend“ meine ich in diesem Kontext ein freiwillige, von der individuellen Neugier getriebene, lustvolle Bildung.

Im Januar plädierte Jack Ma für mehr moralische Erziehung unserer Kinder in Sachen Mitgefühl, Toleranz und kritischer Reflektion. Diese Art von Ausbildung stärke nicht nur unsere Menschlichkeit, sondern mache jede/n einzelnen für die Zukunft wettbewerbsfähiger. Diese Werte kann man nämlich Maschinen nicht beibringen.

Es ist daher nicht so wichtig ob mein Sohn fernsehen darf oder nicht, sondern in wie weit er von seinem Vater und von mir lernt mit den auf ihn einstürzenden Inhalten umzugehen. Dabei ist es unsere Aufgabe ihn in seinem Selbst zu stärken und ihn vor bestimmten Inhalten zu schützen, Informationen zu erklären und auch wieder abzuschalten. Ihn eben nicht mit der Fernbedienung allein zu lassen und die Schuld bei jenen hinter der Mattscheibe zu suchen.

 

 

 

 

 

 


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